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Anton Stoll

Anton Stoll war Schulmeister und Leiter des Badener Kirchenchores. Bekannt wurde er jedoch vor allem durch seine Freundschaft mit W. A. Mozart.

Als Anton Stoll in den 1760er-Jahren nach Baden kam, hatte das Städtchen etwa 1750 Einwohner. Rundherum war eine Stadtmauer mit Graben und Zinnen, mit Türmen und Toren. An der Spitze des Gemeinwesens stand der Stadtrichter, unterstützt von den Herren des Inneren und des Äußeren Rats. Bei festlichen Anlässen wie der Fronleichnamsprozession erschienen sie mit Perücke, Mantel und Degen, und der Stadtrichter ließ ein mächtiges Stadtrichterschwert vor sich hertragen. Immerhin hatte er Macht über Leben und Tod – noch drohte vom Richtberg der Galgen, noch stand auf dem Plätzchen am Anfang der Pfarrgasse der Pranger. Noch wurden die kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung und vor allem der Kurgäste von wandernden Theatergruppen und vom sonntäglichen Hochamt gestillt, und zur Freizeitgestaltung stand neben Kegelbahn, Wirtshaus und Heurigen nur die Schützengesellschaft zur Verfügung. So war es seit Jahrhunderten, und so erlebte es noch der junge Mozart bei seinen ersten Baden-Aufenthalten. Doch nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges ging das Mittelalter auch in Baden mit Riesenschritten dem Ende zu. Im Jahre 1775 erhielt die Kurstadt ihr erstes Theatergebäude (bereits an der heutigen Stelle); 1785 wurde der altehrwürdige Stadtrichter abgeschafft und durch einen Bürgermeister im heutigen Sinn ersetzt; 1786 eröffnete am Hauptplatz das erste Kaffeehaus, das sogenannte „Casino“, mit Speisesaal und Spielzimmern; 1788 verschwanden Galgen und Pranger; 1792 erfolgte die Anlage des ersten Kurparks; seit 1796 betrachtete Kaiser Franz die Schwefelstadt als seine Sommerresidenz; 1800 hatte Baden eine Einwohnerzahl von knapp 2000 erreicht. In diese dynamische Zeit fallen Anton Stolls Wirken als Schulmeister und Regens Chori und Mozarts Aufenthalte bei seinem Freund Anton Stoll.

Siegel von Anton Stoll

Anton Stoll begann seine Tätigkeit in Baden als Lehrer („Präzeptor“) an der Pfarrschule und Solist („Tenorist“) im Kirchenchor. 1770 stieg er zum Direktor der Schule („Schulmeister“) und Leiter des Kirchenchors („Regens Chori“) auf. Zusätzlich zur normalen Unterrichtstätigkeit hatte er nun seinen Hilfslehrer zu beaufsichtigen, den Schulbetrieb zu organisieren, Sonntag für Sonntag das feierliche Hochamt zu leiten und die musikalische Ausbildung der Sängerknaben (und gelegentlich auch -mädchen) zu übernehmen.

Es scheint gesichert, dass Anton Stoll auch seine Dienstwohnung im Schulgebäude im Sommer immer wieder vermieten konnte. Sicher war er jedoch eine Anlaufstelle für Musiker-Kollegen, die in Baden Quartier suchten. Das prominenteste Beispiel ist wohl Anna Maria Haydn, des Joseph von Haydn, berühmten Kapelmeister et doctor musicae Gemahlin, die am 20. März 1800 im Haus Baden Nr. 83 (heute Pfarrgasse 5) starb – sie hatte also beim Schulmeister persönlich Quartier genommen, denn es ist das Haus, das Anton Stoll seit 1798 gemeinsam mit seiner dritten Frau besaß. Sie scheint sich dort so wohl gefühlt zu haben, dass sie sogar zugunsten der Familie Stoll einen eigenen Anhang an ihr Testament verfasste: Anton Stoll sollte eine goldene Tabakdose bekommen, seine Frau goldene Ohrgehänge, die mit zwei Diamanten besetzt waren und zwei silberne Salzfässer, und Stolls Tochter Antonia gar ein ostindisch-Muscherlinenes Kleid (Musselinkleid). Bei der Testamentseröffnung am 22. März (in Anwesenheit des verwitweten Komponisten) war Anton Stoll als Zeuge dabei.

„Liebster Stoll“ – ein Badener als Freund Mozarts

Wo Konstanze Mozart (und daher zwischendurch auch ihr Gemahl) bei den Badekuren 1789 und 1790 wohnte, ist aktenmäßig nicht zu belegen. Doch berichtete Stolls Schwägerin Antonia Huber (verehelichte Haradauer) später, dass sie als zehn- und elfjähriges Mädchen Mozart oft im Hause ihres Schwagers getroffen habe.

Da Antonia am 11. März 1778 geboren war, kommen wir damit in die Jahre 1788/1789 – wahrscheinlich eine kleine Ungenauigkeit der Erinnerung; gemeint müssen wohl die Mozart-Besuche 1789/1790 sein. Bei der Beengtheit der Schulmeisterwohnung klingt es zwar auf den ersten Blick unwahrscheinlich, dass er auch noch Gäste aufnahm – wir wissen ja schon, dass Stoll, seine Frau und die sechs Kinder mit zwei Zimmern, einer Küche und einer Speisekammer auskommen mussten. Doch hören wir im Jahre 1811, dass es langjährige Praxis der Schulmeister war, ihre Dienstwohnung an Badegäste zu vermieten und in der Zwischenzeit in die (kleinere) Dienstwohnung der Hilfslehrer zu übersiedeln, die dann ihrerseits in die Schulräume ausweichen mussten (bevorzugt war das Singzimmer). Durchaus denkbar, dass sich gute zwanzig Jahre zuvor auch Stoll solche Rochaden erlaubte – jedenfalls spricht alles dafür, dass das alte Schulhaus Pfarrgasse 16 ein zweites Badener Mozart-Haus ist!

1790 bestand bereits ein Nahverhältnis zwischen Mozart und Stoll. In den wenigen Tagen, die Mozart in Baden war (6. – 11. Juni), studierten die beiden mit dem Kirchenchor eine Mozartmesse ein, die am Sonntag, dem 13. Juni, um 10 Uhr aufgeführt werden sollte. Die Zusammenarbeit war so gut, dass Mozart dem Regens Chori das Aufführungsmaterial schenkte. Das lässt sich daraus erschließen, dass er den „liebsten Stoll“ Ende Mai 1791 um kurzfristige Überlassung bestimmter Noten („mit allen Stimmen“) bat und baldige Rückgabe versprach. Um Verwechslungen auszuschließen, fügte er die ersten Takte in den Brief ein, es handelte sich um die Krönungsmesse.

Daraus wieder lässt sich schließen, dass Stoll von Mozart auch vorher schon Notenmaterial bekommen hatte. Vielleicht hatte es bereits früher gemeinsame Aufführungen gegeben? Vielleicht hatte Stoll den großen Komponisten um authentisches Material für eigene Aufführungen gebeten? Oder vielleicht hatte er die wertvollen Autographen gar als eine Art „Quartiergeld“ bekommen?

Sein Versprechen Ich werde sie bald wieder zurückstellen dürfte Mozart übrigens nicht erfüllt haben, denn im Nachlass Stolls fand sich kein Autograph der Krönungsmesse.

Der Brief von Ende Mai 1791 hatte es in sich, denn Mozart wollte noch etwas. Stoll sollte eine bequeme Wohnung für seine Frau suchen. Mit den bisherigen Quartieren war Mozart also nicht zufrieden. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass Konstanze zuvor wirklich in der Schulmeisterwohnung untergebracht war: Schon weiter oben haben wir vermutet, dass diese nicht sehr gesund war; auch waren die Fenster (wie ebenfalls schon erwähnt) gassenseitig, und eines der Argumente für den Schulneubau 1797/1800 war ausdrücklich die Lärmbelästigung in der Pfarrgasse, der Hauptverkehrsader Badens, gewesen.

Interessant ist auch, dass Mozart bereits konkrete Wünsche hat: das liebste Quartier wäre mir das, welches Goldhahn bewohnt hat, zu ebener Erde, beym Fleischhacker (…) beym Stadtschreiber, wo H. Dr. Alt zu ebener Erde gewohnt hat, wäre es auch recht – aber das vom Fleischhacker wäre allen übrigen vorzuziehen. Es gab in Baden drei Fleischhacker – Mozart definierte den gewünschten nicht mit seinem Namen, sondern über Goldhahn, den Geschäftspartner Schikaneders, der im Vorjahr dort gewohnt hatte, wie Stoll anscheinend wusste. Gemeint war daher wohl Stolls Freund, der Fleischhacker Franz Heim in der Pfarrgasse 6, dessen Haus wie gewünscht ebenerdig und ganz in der Nähe des Antonsbades war. Das andere Wunschquartier bedurfte eigentlich überhaupt keiner näheren Angaben, denn Stadtschreiber gab es nur einen einzigen, doch wieder erinnerte Mozart an einen gemeinsamen Bekannten, der dort gewesen war, den Dr. Alt. Der einzige (und nicht sehr überraschende) Einblick in das gesellschaftliche Milieu, in dem sich Mozart und Stoll in Baden bewegten!

Stoll tat sein bestes – eine Gedenktafel am heutigen Mozarthof, Renngasse 4, erinnert daran, dass Konstanze Mozart 1791 im Hause des Stadtschreibers Johann Georg Grundgeyer wohnte, das damals den idyllischen Hausnamen „Zum Blumenstock“ führte. Keine Gedenktafel dagegen erinnert an das Abenteuer, das der stets zu Scherzen aufgelegte Komponist dort erlebte – nach eingehenden Recherchen schildert es der Universitätsprofessor und Lokalhistoriker Friedrich Bensch folgendermaßen: Im Sommer 1791 kam der junge Leutnant von Malfatti zur Kur nach Baden … Da saß er dann am Fenster und las und schielte dabei über das Buch weg zu einer kleinen, schwarzlockigen jungen Frau, die gegenüber auch ein ebenerdiges Fremdenzimmer bewohnte. Eines Abends, es begann schon zu dämmern, sah er, wie ein feiner, beweglicher Herr an das gegenüberliegende Fenster heranschlich, sich behutsam nach allen Seiten umsah, ob niemand ihn bemerkte, und dann Miene machte, in das Fenster der Dame zu steigen. Schnell humpelte der Leutnant zum Schutz seines hübschen Gegenübers herbei, fasste den Eindringling an der Schulter und fragte barsch: „Was will der Herr da tun? Das ist die Türe nicht!“ – „Was will der Herr von mir?“, lautete die Antwort, „ich werde doch wohl in das Zimmer meiner Frau steigen dürfen!“ – Es war Wolfgang Amadeus Mozart, der unerwartet von Wien gekommen war, um seine geliebte Constanze zu besuchen und sie nach seiner Weise zu überraschen … (Der Leutnant) erzählte diese Begebenheit später oft, und der Mozartforscher Ludwig Nohl erfuhr sie von Malfattis Neffen, der sie noch von seinem Onkel selbst gehört hatte.

Aber wir müssen noch ein drittes Mal zu Mozarts Brief von Ende Mai zurückkehren. Mozart beginnt sein Schreiben mit der launigen Anrede: Liebster Stoll! / (seyens kein Schroll) und fügt am Ende ein äußerst schmeichelhaftes Postskriptum an: das ist der dumste Brief, den ich in meinem leben geschrieben habe, aber für Sie ist er Just recht. Und das in einem Brief mit zwei Wünschen, die schnelle und genaue Erledigung erforderten! Aber anscheinend waren die beiden wirklich bereits bestens befreundet, und Mozart konnte damit rechnen, dass Stoll die Anzüglichkeit nicht übelnehmen würde. Auch mit dem Türmer (Kapellmeister) scheint Mozart übrigens in gutem Einvernehmen gestanden zu sein, denn er konnte Konstanze ohne weiteres raten, sich von diesem Wein liefern zu lassen – bezahlen würde irgendwann der Gemahl.

Wenn Mozart Ruhe zum Arbeiten brauchte, benützte er ein stilles Dachkämmerchen über einem Schuppen des Hauses „Zum Blumenstock“, in dessen Parterre Konstanze residierte. Es gehört zu den Gemeinplätzen der Musikgeschichte, dass Mozart dort am 17. Juni seine berühmte Motette „Ave verum“ (KV 618) komponierte und sie dem Regens Chori Anton Stoll widmete. Dieser leitete auch am Fronleichnamstag (23. Juni 1791) die Uraufführung in der Pfarrkirche St. Stephan.

Da Mozart schon seit Jahren keine geistliche Musik mehr geschrieben hatte, hat man sich Gedanken gemacht, warum es gerade jetzt und gerade in Baden zur Schaffung des „Ave verum“ kam. Eine einleuchtende Erklärung könnte sein, dass Stoll den ihm in vieler Hinsicht verpflichteten Mozart um eine neue Komposition für das Fronleichnamsfest gebeten hatte. Für diese Interpretation spricht u.a., dass auch Süßmayr 1792 eine Vertonung des „Ave verum“ schuf, ebenfalls für Anton Stoll und ebenfalls für das Fronleichnamsfest.

Obwohl er nicht viel Zeit hatte, kam Mozart am 9. Juli wieder nach Baden und studierte gemeinsam mit Stoll ein Hochamt ein (Mozarts Messe in B-Dur, KV 275, und Michael Haydns Graduale in B). Dabei gab es einen unliebsamen Zwischenfall. Die Sopranistin des Kirchenchors wollte sich Mozarts Anordnungen nicht fügen, und schließlich jagte sie der Maestro davon. Nun musste Stolls dreizehnjährige Schwägerin Antonia Huber einspringen. Von ihrem Auftritt war Mozart so begeistert, dass er sie umarmte und küsste und ihr einen Kremnitzer Goldfuchs (eine Art Golddukaten) schenkte – noch 65 Jahre später, als sie zu Mozarts 100. Geburtstag ein Interview gab, klang ihr sein „Brav, Tonerl, recht brav“ in den Ohren.

Wieder schenkte Mozart das Aufführungsmaterial dem befreundeten Regens Chori, doch musste er Stoll schon am 12. Juli um kurzfristige leihweise Überlassung bitten. Das war ihm furchtbar peinlich: glauben sie nur nicht, dass es so eine Ausflucht seye, die Messe wieder zu haben – wenn ich Sie nicht gerne in ihren Händen wüsste, würde ich sie ihnen nie gegeben haben. – im gegentheile mache ich mir ein vergnügen, wenn ich ihnen eine Gefälligkeit erweisen kann. Im übrigen war es ein typischer Mozart-Brief Anrede: liebster Stoll! bester knoll! grosster Schroll! bist Sternvoll! – gelt, das Moll thut dir Wohl? Und auf der Rückseite in verstellter Handschrift ein fingiertes Schreiben seines Freundes Süßmayer, für dessen zweifelhaften Humor allein die vorgebliche Adresse des Absenders spricht: Scheishäusel, den 12. Juli. Man hat hier interpretiert, dass der Alkohol in der Beziehung der beiden Männer eine gewisse Rolle gespielt hat. Mit dem direkt von Mozart angesprochenen Moll (dem Weichen) ist sicherlich der Wein gemeint. Vielleicht darf man sich wirklich die eine oder andere wüste Heurigensitzung von Mozart, Stoll & Co. vorstellen, bei der die schlechten Witze nur so flogen. Der Betrieb des Türmers Franz Kicker in der Antonsgasse 15 (dessen Wein Mozart seiner Frau im Frühjahr empfohlen hatte) wäre als Schauplatz leicht vorstellbar. Oder vielleicht führte Stoll seinen prominenten Gast gelegentlich in den Gebürgsweinkeller seines Freundes Franz Heim aus (heute Welzergasse 10). Beide Schanklokale lagen in der Vorstadt, außerhalb der Stadtmauer, deren Tore bei Einbruch der Dunkelheit gesperrt wurden. Sicher verpasste die lustige Gesellschaft das eine oder andere Mal die Torsperre. Aber dafür gab es ja das „Lumpentürl“: ein kleines Tor in einer dunklen Ecke der Grabengasse, wo man gegen ein geringes Sperrgeld jederzeit Einlass fand!

Aber vielleicht sollte man gar nicht so viel von Alkohol reden. Könnte es nicht auch ein Schlüssel zum Verständnis von Mozarts skurrilem Humor sein, dass es ihm peinlich war, als Bittsteller auftreten zu müssen (überhaupt, wo er doch seinerzeit die Krönungsmesse nicht zurückgegeben hatte), sodass er durch krampfhafte Lustigkeit kompensieren musste?

Von Anfang an waren sich die Badener bewusst, welche Auszeichnung Mozarts Wirken für ihre bescheidene Stadt bedeutete. Das Mozartstübchen, in dem er das „Ave verum“ komponiert hatte, wurde sogleich zum Wallfahrtsort, und als es 1885 einem Neubau weichen mußte, kamen die Tür, das Fenster und das Stiegengeländer ins Städtische Rollettmuseum (heute nicht mehr erhalten). Auch das Manual der Orgel, das Mozarts Hände geheiligt hatten, wurde durch alle Umbauten hindurch pietätvoll bewahrt und bei der Revitalisierung des Jahres 1987 wieder spielbar gemacht.

Im Herbst weilte Konstanze wieder zur Kur in Baden und bezog ihr voriges Quartier beim Stadtsyndikus Grundgeyer. Mozart kam nicht mit – er entschuldigte sich damit, dass er in Baden keine bequeme Arbeitsmöglichkeit habe (in Grundgeyers Dachstübchen hatte er sich also nicht wohlgefühlt). Brieflich lud er Stoll zu einer Aufführung der „Zauberflöte“ am 11. Oktober nach Wien ein. Ob Stoll dieser Einladung folgte, wissen wir nicht.

Als Mozart seine Frau am 15. Oktober von Baden abholte, gab es noch ein Abschiedsessen im Casino, heute Hauptplatz 16, Sparkassengebäude, wie Mozart tags zuvor versprochen hatte: dann gehen wir alle zusammen auf das Casino. Zu „wir alle“ gehörte wohl auch Freund Stoll, obwohl es keinen Beleg dafür gibt. Soviel wir wissen, war der Brief vom 9. oder der Abschied am 15. Oktober der letzte Kontakt zwischen den beiden Freunden, denn am 5. Dezember 1791 starb Mozart.

https://kirchenchor.baden-st-stephan.at/geschichte/die-chorregenten/anton-stoll

Kirchenmusikverein der Pfarre St. Stephan

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